Berichte letzte
Saison

In 30 Jahren haben unzählige unserer Gäste Ihre Kanureise in spannenden Reiseberichten festgehalten. Schau, was sie in Schweden für spannende Abenteuer mit scandtrack erlebt haben und lass dich inspirieren! 

Berichte letzte
Saison

In 30 Jahren haben unzählige unserer Gäste Ihre Kanureise in spannenden Reiseberichten festgehalten. Schau, was sie in Schweden für spannende Abenteuer mit scandtrack erlebt haben und lass dich inspirieren! 

Autor: Corinna K., 13. Oktober 2014
Betreff: Kanutenfluten
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Nun zu meinem aktuellen Urlaub. Am Freitag geht es los. Nach Schweden. "9 Tage Kanutour auf eigene Faust durch Nordmarken" heißt die Werbung dafür und wir glauben, dass sie hält, was sie verspricht. Bis auf die neun Tage. Weil man zwei Tage oder eher Nächte für die Hin- und Rückfahrt abziehen muss.

 Es ist quasi eine luxuriöse Art von Outdoor-Urlaub. Abenteuer für Städtekinder. Wir werden aus Bielefeld mit dem Bus von scandtrack (dem Reiseveranstalter) abgeholt und nach Schweden gefahren, bekommen dort eine Einführung ins Paddeln und die örtlichen Campingplätze und dürfen dann selbst unsere Woche gestalten. Wir bekommen ein Zelt und eine große Versorgungstonne gestellt und dürfen dann zusehen, wie wir klarkommen. Ohne Strom, ohne Wasser - selber "kochen", waschen, Zelt aufbauen - ein Abenteuer eben. Aber wir sind nicht völlig allein gelassen, haben immer einen Ansprechpartner.

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 Wir fahren zu viert. Ich natürlich, dann Theresa aus meinem Semester, Paula aus der Schule, die mittlerweile Pharmazie in Freiburg studiert, und eine Kommilitonin von Paula, die Imke heißt. Da kommt ein Wust an Fähigkeiten zusammen: Theresa ist sehr geschickt und sportlich, Paula kennt die Natur, Imke kann schwedisch und Kanu fahren ich ... äh, tja, also und ich ... ich kann von allem ein bisschen und nichts richtig. Das muss reichen. Man muss ja auch dazulernen in so einem Urlaub.

 Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber ich glaube schon, dass alles gut geht. Ich freue mich drauf. Hoffentlich regnet es nicht so viel. Oder nur nachts.

 So weit, so gut.

 Ich werde mich nach Schweden wieder melden :-) 

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 Hallo liebste Enkeltochter,

 nun bist du ja schon einige Tage wieder aus deinem tollen Urlaub zurück und ich warte nun eigentlich schon sehr neugierig auf einen kurzen Bericht. Du schreibst doch immer so lustig und ich freue mich dann über deine lebhaften Berichte. 

 Denn leider sehen wir uns ja am nächsten Wochenende nicht. Allerdings fällt mir gerade ein, du musst ja für die noch ausstehende Klausur lernen. 

 Also werde ich meine Neugierde bis danach zügeln und wünsche dir für die Prüfung alles Gute. Toi, toi, toi.

 Ich drücke dir dann trotz der Feier mal ganz dolle die Daumen. Ich verspreche dir, ich denke an dich und hoffe nur, du hast dann keinen Schluckauf. 

 Also dann mal ein schönes Wochenende und ganz liebe Grüße von deiner Oma

 Liebste Omi! 

 Ich bin ja nun tatsächlich schon eine Weile wieder da und du hast absolute Berechtigung jetzt auch zu erfahren, was ich in meinem Urlaub erlebt habe. Dadurch, dass ich währenddessen völlig abgeschottet war von der Außenwelt (Neben der Abwesenheit des Internets, die zu erwarten war, wollte auch mein Handy partout keine SMS mehr verschicken – trotz Netz und vollem Empfang), zeigte jeder, der nicht mitgefahren ist, äußerstes Interesse an einem Reisebericht. Was dazu führte, dass ich die wichtigsten Sachen nun schon bestimmt fünf-, sechsmal erzählt oder in irgendeiner Form aufgeschrieben habe und überhaupt nicht mehr weiß, wem ich wie viel berichtet habe. 

 Lediglich unser Tagebuch hinkt hinterher. Wir kamen schlichtweg nicht dazu, etwas aufzuschreiben, dafür waren die Tage zu kurz und die Nächte kamen zu schnell. Wie es dämmerte, mussten wir uns immer schon beeilen, noch abzuspülen, uns umzuziehen, aufs Klo zu gehen und Zähne zu putzen, bevor man gar nichts mehr sah - denn auch mit Taschenlampe stellte das, was im Hellen kein Problem war, im Dunkeln eine ziemliche Herausforderung dar. Schließlich wollte jeder seinen eigenen Schlafanzug anziehen und die Strümpfe sollten auch zum selben Paar gehören. Aber der Reihe nach. 

 Das Schlimmste kam direkt zu Beginn: Die Busfahrt. Theresa (meine Aachener Mitstudentin) und ich hatten ab Bielefeld gebucht und checkten dort pünktlich und unkompliziert ein. Nur leider war unser Bus sehr eng bemessen. Das war fürs Sitzen nicht weiter schlimm, aber wir fuhren über Nacht und schlafen konnte ich in solch aufrechter Position überhaupt nicht. Also quetschte ich mich in irgendwelche Ritzen und Theresa rollte sich auf ihrem Sitz zusammen - in jedem Fall ein Horror für unsere beiden Rücken. Fairerweise tauschten wir nach der halben Fahrt die Plätze, sodass Theresa sich auch noch mal ans Fenster anlehnen konnte…  dennoch holte ich mir eine so üble Verspannung im Nacken, dass ich mich vier Tage lang nicht mehr bücken konnte. Meine größte Sorge, nämlich gar nicht schlafen zu können und deswegen vor Kopfschmerzen umzukommen, trat allerdings nicht ein. Meinem Kopf ging es blendend. Schon bevor wir um halb eins in Puttgarden ankamen, hatte ich bereits mindestens anderthalb Stunden tief durchgeschlafen. Dafür war der Bus also wohl doch noch gemütlich genug. An eben jenem Fährhafen auf Fehmarn sollten nun eigentlich noch unsere zwei Mitpaddler aus Freiburg mit einsteigen. Aber unser Bus fuhr ohne zu zögern an allen Wartenden vorbei. Kaum waren wir nach kurzer Wartezeit auf die Fähre gestiegen, bekam ich eine fassungslose SMS von den beiden, dass sie wohl noch zwei Stunden auf ihren Bus warten müssten und sich fragten, wo wir denn wohl seien...? Wir waren aber mittlerweile in Dänemark und mein Handy hatte seinen Dienst quittiert. In Dänemark versuchte ich weiterzuschlafen und erst auf der Fähre nach Schweden unternahm ich weitere Versuche Kontakt aufzunehmen, aber weiterhin erfolglos. Zwei Stunden lang ruckelten wir dann über schwedische Landstraßen-Bodenwellen, ehe wir im Camp bei Lennartsfors in Mittelschweden ankamen. Dort war uns erstmal schlecht. Nach etwa zwanzig Minuten schafften wir es schließlich zu zweit, eines der angebotenen Brötchen mit Würstchen in uns hineinzumümmeln. Glücklicherweise hatten wir ja eh genügend Zeit, uns zu erholen, schließlich mussten wir noch auf unsere beiden Freiburgerinnen warten. Und so gingen wir abwechselnd über die Wiese und legten uns auf die Holzbänke, in der Hoffnung, sowohl die Müdigkeit als auch die Nackenschmerzen zu vertreiben. Was die Müdigkeit anbelangt, gelang uns das sogar. Was die Schmerzen anbelangt: Nun ja. Man kann nicht alles haben. 

 Anderthalb Stunden später kamen die zwei schließlich. Mit dem letzten Bus. Paula war kotzübel, hatte sich auf der Landstraße wohl mehrfach übergeben und beide hatten die gesamte Nacht nicht geschlafen. Imke, die wir bis dahin ja noch nie gesehen hatten, ging es vergleichsweise gut. In jedem Fall wurde sofort deutlich, dass die Chemie zwischen uns Vieren stimmte und so waren wir uns auch schnell einig, möglichst zügig in die Kanus zu kommen, ein paar Meter außer Sichtweite zu fahren und dann in Ruhe die Zelte aufzuschlagen und uns auszuruhen. 

 Das war aber leichter gesagt als getan, mussten wir doch erst unsere Koffer noch zwanzig Minuten durch den Wald ins Ausrüstungscamp ziehen – warum hatten wir auch Koffer mitgenommen und nicht Rucksäcke, wie jeder andere auch? – uns dort in Schlangen anstellen, um Essen, Paddel, Schwimmwesten und Packsäcke zu bekommen, dann alles umpacken und schließlich alles noch mal zu den Kanus tragen. Gerade die Versorgungstonnen bereiteten uns Probleme, weil sie mehr als die Hälfte unseres eigenen Gewichts wogen und keine Griffe oder Henkel zur besseren Handhabung besaßen. So mancher junger Mann kam uns aber gern zu Hilfe, hievte mit einem Schwung die Tonne auf seine Schulter und trug das gute Stück bis nach unten ans Wasser. So hilft jeder, wie er kann. Unten am Ufer gab es dann eine kurze Einführung und ich erschreckte die Anderen mit der Aussage, dass ich zuvor noch nie in einem Kanu gesessen hätte. Zugegeben: Man kann sich schon fragen, wie ich denn dann überhaupt auf die bekloppte Idee gekommen war, eine Woche Kanutour zu buchen. So genau kann ich das auch nicht beantworten. Hat sich so ergeben.

 Jedenfalls besorgten wir uns zwei Kanus, verluden alles und fuhren erstmal los. Die große Erleichterung kam sofort: Meine Rückenschmerzen hinderten mich nicht am Paddeln. Im Gegenteil, je mehr ich mich ins Wasser legen musste, umso mehr gerieten meine Schmerzen in Vergessenheit, die Bewegung schien die Muskeln tatsächlich aufzulockern. Und so konnte man es leidlich verschmerzen, dass die ersten Rastplätze allesamt schon besetzt waren von Leuten, die ebenso müde waren wie wir und in früheren Bussen gesessen hatten. Schweden ist schließlich groß. Nachdem wir uns eine der Inseln mal von allen Seiten beguckt hatten, fanden wir schließlich auch einen kurzen Sandstrand, an dem die Boote anlanden konnten und nur ein paar Meter entfernt zwei Flächen ebenen Waldboden für unsere beiden Zelte.

 Wir beschlossen, die Arbeit zu teilen. Theresa und Paula sollten die Zelte aufbauen, während Imke und ich das Abendessen kochten. Wir entschieden uns für eine bekömmliche Kartoffelsuppe insbesondere für Paulas angeschlagenen Magen aus dem Outdoor-Rezeptebuch. Und was für eine Wohltat! Verfeinert mit ein paar Tomaten war das die leckerste Kartoffelsuppe, die ich jemals gegessen habe. Ohne weitere Diskussionen erhoben wir das Rezeptebuch zur Rettung des Tages und beschlossen, ihm von da an für immerdar zu folgen und zu vertrauen. Und ich darf vorwegnehmen, dass das eine sehr gute und nur empfehlenswerte Entscheidung war. Gut gesättigt und das aufgebaute Nachtlager schon vor uns, nahmen wir motiviert die nächste Aufgabe in Angriff. 

 Wasser abkochen. Das wiederum war eine Entscheidung, die wir besser nicht getroffen hätten. Schnell stellten wir fest, dass dabei eindeutig zu viel Brennspiritus draufging. Wir hatten gerade so einen knappen Liter für jeden von uns abgekocht, da war bereits ein Viertel unseres Vorrats für die Woche verbraucht. Zwar sollte das Seewasser zwar generell schon Trinkwasserqualität haben, aber eine leicht grüne Färbung hatte uns mit unserem pharmazeutischen Reinheitsverständnis doch überzeugt, die Sicherheitsmaßnahme zu ergreifen. Und so ließen wir uns nicht unterkriegen und beschlossen einfach, am nächsten Tag das Wasser über dem Lagerfeuer abzukochen. Das muss ja auch möglich sein.

 Gut ausgeschlafen und damit nun endlich wieder endgültig wach fuhren wir am nächsten Morgen ein ganzes Stück, ehe wir eine der heiß begehrten offiziellen Lagerfeuerstellen unbesetzt fanden. Die dazugehörige Hütte war zwar schon bewohnt, aber wir brauchten ja nur ein bisschen Feuer. Wir entzündeten die Flammen, kochten unser Mittagessen und aßen die Nudeln, während wir unser Trinkwasser über der Glut brodeln ließen. Aber auch bei dieser Methode kamen gleich zwei Probleme zutage: Das Erste war die Dauer. Über zwei Stunden verbrachten wir nur mit abkochen, kamen erst um sechs Uhr abends vom Rastplatz weg, um noch einen Zeltplatz zu suchen. Paula begann mittendrin aus Langeweile, sich das Gesicht mit Ruß einzuschmieren. Anschließend steckten wir ihr eine Feder ins Haar, gaben ihr den Klappspaten in die Hand und deklarierten sie als Indianer. Manchmal wird man albern, wenn man zu viel Zeit hat. 

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 Das zweite Problem war, dass das Wasser noch ekelhafter schmeckte als unabgekocht: Zusammen mit dem mitgegebenen Instant Tee ergab es die leckere Geschmacksrichtung „Himbeere-Rauch“. Wahlweise erweiterbar mit „Gummi und Plastik“, wenn man es zusätzlich in eine der ebenfalls mitgegebenen Weithalsflaschen füllte.

 So konnte es nicht weitergehen. Am nächsten Tag fassten wir deshalb einen Plan und es ging gut 15 Kilometer nordwärts. Wir landeten zur Kekspause an einer Kirche an und trafen unsere ersten Schweden. Vor der Kirche sah man ein lustiges Bild: Bei einer Hochzeit hatte wohl mal jemand statt Reis Sonnenblumenkerne geworfen und hunderte von Sprösslingen guckten durch den Kies. Wir fragten uns, wie es da wohl in ein paar Monaten aussehen würde. Dann fuhren wir weiter auf der Suche nach einem Rastplatz. Aber die Punkte, die wir ansteuerten, waren allesamt schon besetzt. Schließlich wagten wir uns aufs Festland und stolperten auf einen Rastplatz, an dem schon sechs junge Bayern in Lederhose campierten. Ohne viel Trara kamen wir mit ihnen überein, direkt hinter dem Platz auf einer Wiese zelten zu können und auch die Toilette mitbenutzen zu dürfen. Die Toiletten sind nicht mit solchen mit Wasseranschluss vergleichbar, erinnern sie doch eher an Plumpsklos, aber doch garantierten sie einem eine gewisse Privatsphäre und ersparten einem das mühselige Vergraben der Hinterlassenschaften mit dem Klappspaten. Und wegen unserer neuen Nachbarn: Man kann ja gegen Bayern sagen, was man will, aber diese waren wirklich freundlich. Nicht nur, dass sie ohne Worte unser gesamtes Gepäck von den Kanus auf die Wiese trugen, sie luden uns auch zu ihrem gut brennenden Lagerfeuer ein (was wir insgeheim ziemlich beneideten) und obwohl wir die Einladung ausschlugen, besaßen sie noch den Takt, unsere Fragen bezüglich Töcksfors zu beantworten.

 Töcksfors. Auch so ein Thema. Laut Karte befand sich in eben diesem Dorf nämlich die nächste Einkaufsmöglichkeit und unser Plan war es, uns dort mit den Dingen einzudecken, die uns noch zum Glücklichsein fehlten. Auch die Lederhosen hatten diesen Plan schon gehabt, und sich entsprechend mit Paletten an Bier ausgerüstet. Als eingefleischte Abstinenzler fanden wir das ziemlich lustig. Unsere Befürchtung war jedoch weiterhin, dass es sich bei eben jener Einkaufsmöglichkeit gerade mal um einen Kiosk oder maximal eine Art Tante-Emma-Laden von den Ausmaßen einer Garage handelte, so wie das in Deutschland auf dem Land nicht unüblich ist. Und so dachte ich erst, der Junge macht einen schlechten Witz, als er sagte „des is grous wia zwoa Fußboifelda“. Je mehr er jedoch ins Detail ging („Da gibt es oan Beautysalon, oan Frisör, Schualädn…“), umso unwahrscheinlicher schien mir meine Witztheorie und ich verfiel einfach nur in ungläubiges Staunen. Paula strahlte uns schlussendlich an und rief: „Morgen gehen wir Shoppen!“ und ich konnte nicht glauben, dass sie das gerade gesagt hatte. Ausgerechnet Paula. Die man für gewöhnlich drei Wochen überreden musste, um ein Kleidungsgeschäft mit dem Hintern anzugucken. Nun gut. Dann gingen wir wohl… „shoppen“.

 Am nächsten Tag wurden wir früh vom Regen geweckt. In eintöniger Melodie prasselte er auf unser Zeltdach. Punkt acht, zu unserer gewöhnlichen Aufstehzeit, hörte er schlagartig auf. Glück muss man haben. Wir frühstückten gemütlich, räumten unsere Zelte zusammen und ließen unser gesamtes Gepäck von den Lederhosen beaufsichtigen, die beschlossen hatten, noch einen weiteren Tag an der Hütte zu verbringen. So machten wir uns mit leeren Kanus auf zum Dorf, landeten an der Schleuse an und spazierten zum Shoppingcenter. Was für ein wahrhaft groteskes Bauwerk. Nach Tagen der Stille und Stromabwesenheit litt man an leichter Reizüberflutung. Baff bestaunten wir die großen Süßwarengeschäfte und die Unmengen an konservierter Palettennahrung, bereit, viele Kilometer von den „ortsansässigen“ Schweden nach Hause transportiert und eingelagert zu werden. Nachdem die erste Staunensstarre nachgelassen hatte, kauften wir als erstes in der Apotheke eine Packung Reisekaugummis. Anschließend suchten wir uns noch zwei neue Packungen Kekse und ein Schälchen Pflaumen aus und schließlich kauften wir uns das, worauf wir uns die ganze Zeit gefreut hatten: Vier Sixpack Wasser. Endlich: Wasser, das wie Wasser schmeckt! Jetzt weiß man erst zu schätzen, wie gut die Zivilisation sein kann. Wobei ich gerne zugebe, dass wir in dieser Frage vielleicht auch ein wenig pingelig waren. Außer uns schien zumindest niemand sonst ein Bedürfnis nach Flaschenwasser entwickelt zu haben. 

 Auf dem örtlichen Klo sahen wir uns zum ersten Mal wieder im Spiegel, aber es war besser, dort nicht allzu lange hinzugucken. Ungekämmt, ungeschminkt, nur mäßig gewaschen, blass und für jedes Wetter gekleidet, gaben wir wirklich keine Schönheiten ab. Zumindest hatten wir es am Tag zuvor geschafft, das erste Mal baden zu gehen. Das Baden war für eine Frostbeule wie mich zwar eine Folter ohnegleichen, aber lieber gab ich mich der Eiseskälte hin, als weiter den Dreck in den Haaren zu spüren. Theresa und Imke hatten das Wasser sogar genossen, waren mehrere Züge geschwommen und hatten sich über die Erfrischung gefreut. Ich hingegen hatte mich das erste Mal wieder gefreut, als ich in mein Handtuch gemümmelt in der prallen Sonne auf dem Felsen gestanden hatte und trocknete. Das hätte ich stundenlang ausgehalten.

 Wir fuhren am selben Tag wieder zurück Richtung Süden, sammelten unterwegs unser Gepäck wieder ein, und waren zum ersten Mal so früh dran, dass wir einen Danoplatz für uns einnehmen konnten. Die Danos sind kleine hölzerne Hütten an den Rastplatzen, an einer Seite offen, aber eng genug, um die Wärme von vier Personen zu erhalten. Wir backten Flammkuchen über dem offenen Lagerfeuer und wir waren richtig zufrieden. Das Brotrezept war einfach unschlagbar. Das Wetter hatte mittlerweile wunderbar aufgeklart und wir konnten eine herrliche Dämmerung genießen. Nur Imke hatte Pech. Sie fiel der Länge nach ins Wasser bei dem Versuch, das Kanu an Land zu ziehen. Platschnass rettete sie sich ans Feuer, um sich und ihre Sachen wieder zu trocknen. Was für ein Glück, dass wir die Hütte hatten.

 Der nächste Tag begann bedeckt, aber wir hatten alle Hoffnung, dass es noch besser wurde. Beim Beladen der Kanus fiel Imke in ihren gerade getrockneten Sachen ein zweites Mal ins Wasser. Im Nachhinein hat das fast was Komisches. So viel Pech muss man aber auch erst einmal haben.

 Es ging weiter zurück nach Süden und vorbei an der Kirche. Wir wussten, wir hatten viel vor uns, wollten abends auch noch mal baden gehen. Dummerweise wehte uns ein übelster Wind entgegen. Es gibt beim Paddeln eigentlich nicht viel zu berücksichtigen. Nur eins sollte man bedenken: Unsere Kanus sind sehr schlank und bei entsprechender Beladung  braucht es nicht viel, sie zum Kentern zu bringen, wenn die Wellen seitlich kommen. Das bedeutet: Je größer die Welle, umso wichtiger ist es, sie von vorne zu nehmen oder maximal schräg. Das war uns zuvor schon einmal aufgefallen, als uns ein Motorboot in einem großen Bogen umkreist hatte, und wir uns nach und nach auf Wellen von drei Seiten hatten ausrichten müssen. 

 Nun, sobald wir hinter der Kirche auf den großen Foxen See kam, hatten wir ein Problem: Wir drifteten vom Ufer ab. Neben der Regel „Trotze niemals dem Wetter“ brachen wir damit einen weiteren wichtigen Ratschlag, der uns mitgegeben worden war: Bleibt in Ufernähe. Wir kämpften und kämpften gegen die Wellen, wollten irgendwie zum Ufer, aber das war unmöglich, denn die Wellen liefen genau parallel zur Verbindungslinie von uns zum Festland. Wir strengten uns an, gaben unser Bestes, zogen Mal um Mal das Paddel durchs Wasser, aber es schien, als würden wir einfach nicht vorankommen. Das zweite Kanu war bald nur noch ein Punkt in weiter Ferne am Ufer und in aller Häme schien die Sonne, als gäbe es keinen herrlicheren Tag als diesen. Irgendwann konnten wir beobachten, wie das zweite Kanu anlandete und wir hofften, sie hätten unsere Notlage mittlerweile erkannt und würden nun auf uns warten. Und so fassten wir neuen Mut, nahmen all unsere Kräfte zusammen, und kämpften uns die Wellen kreuzend zum Ufer. Erst wie wir in der Bucht waren, merkten wir, wie groß die Anspannung zuvor gewesen sein musste. Die Angst zu kentern und die absolute Konzentration hatte einen genauso viel Energie gekostet, wie die, die wir körperlich hatten aufbringen müssen. Psychisch und Physisch am Äußersten brauchten wir dringend zehn Minuten, um uns wieder zu sammeln.

 An dem Rastplatz, an dem wir angelandet waren, saß ein einzelner Mann in seiner Hängematte. Auf die Frage, ob das kleine dreieckige Häuschen neben ihm das Klo sei, antwortete er gut gelaunt, das wisse er nicht, das habe er sich auch schon immer gefragt. Wir jedenfalls definierten das Häuschen als solches und gingen einer nach dem anderen hinein. Bei der Dritten von uns meinte er, er würde ab jetzt wohl besser immer einen Euro Eintritt nehmen und lachte von Herzen. Sehr sympathisch.

 Nach einer guten Viertelstunde ging es weiter und von da aus waren wir penibel bedacht, so nah am Ufer zu bleiben, wie es einem Kanu nur möglich ist. Mit Erfolg. Als Übernachtungsmöglichkeit fanden wir eine herrliche Insel ohne Hütte, aber mit Klo und zwei Feuerstellen. Wir badeten in einer Bucht und fühlten uns gut. Die Nacht war klar und lau und wir entschlossen uns in der Dämmerung, kein Dach mehr über uns haben zu wollen. So zogen wir unsere Matten und Schlafsäcke aus den schon aufgebauten Zelten wieder heraus, legten uns auf die platten Felsen und schauten ehrfürchtig in den Himmel. Der See unter Dir, die Lagerfeuer in der Ferne, die Milchstraße über Dir und hin und wieder eine Sternschnuppe, die vorbeirauscht: So muss Outdoor-Urlaub sein. Genau deshalb machen wir das. Wegen solcher Momente.

 Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, ging hinter uns gerade die Sonne auf. Was soll ich sagen: Sonnenaufgänge sehen exakt so aus wie Sonnenuntergänge. Nur dass sie falschrum ablaufen. Paula, die rechts von mir lag, bemerkte meine Wachheit, lehnte sich wortlos ganz nah zu mir herüber, tippte sich auf ihr rechtes Augenlid und sagte: „Guck Mal, bin ich da von einer Mücke gestochen worden?“ Und tatsächlich, mittendrauf glühte ein leuchtend roter Fleck. Die Schwellung zog ihre Augenbraue in die Höhe, was ihr für den Rest des Tages einen leicht fragenden Ausdruck verlieh. Es sah zum Schießen komisch aus, aber das sagte ich ihr in diesem Moment natürlich nicht.

 Es war der Tag von Theresas Geburtstag und wir hatten uns gedacht, als Überraschung Brötchen zu backen. Von der Idee her machbar, scheiterte es dann doch an der mangelnden Feuerhitze. Ehe die Brötchen durch waren, hatten wir vor Hunger schon unseren üblichen Tee und das Müsli und die Marmeladenbrote verzehrt. Kurz bevor wir abfuhren, nahmen wir die Brötchen vom Feuer und nahmen sie als Mittagessen mit. An dem Tag paddelten wir zur norwegischen Grenze, beziehungsweise kurz dahinter. Theresa hatte ungünstigerweise eine übelste Erkältung ausgebrütet und war nach sechs Kilometern so fertig, dass wir zügig eine Hütte suchten, und sie Schlafen ließen. Wir nutzen die Zeit und wanderten um die halb schwedische, halb norwegische Insel einmal komplett rum. Wir besichtigten den Grenzstein, probierten ein paar Preiselbeeren, platzten naiv und unbekümmert mitten in die Beziehungskrise zweier anderer deutscher Kanuten, grüßten höflich, liefen weiter, verloren zwischendurch mal den Pfad und stolperten über naturgerodete Flächen, ehe wir nach einer guten Stunde wieder an der Hütte ankamen. Paula und Imke fanden noch mal die Energie, mit dem Kanu loszufahren, während ich bei der immer noch müden Theresa blieb und einfach nur die Seele baumeln ließ. Abends gelang uns aber noch ein kleines Wunder: Unser erstes richtig gut brennendes Feuer. Während wir zuvor immer versagt hatten, Scheite, die die Dicke einer Banane überstiegen, zum Brennen zu kriegen, hatten wir diesmal endlich den Bogen raus. Vermutlich lag es daran, dass wir unser Holz zum ersten Mal selbst frisch zersägt hatten. Jedenfalls brannte es so, wie ein Feuer brennen muss. Es gab ein feudales Mahl mit Bratkartoffeln, Jägerbraten aus der Konserve und Brechbohnen. Über uns funkelten wieder die Sterne durch die Baumwipfel. Dann krochen wir in unsere Hütte und schliefen tief und fest.

 Am Tag darauf wollten wir zu unserer Lieblingsinsel vom Tag zuvor zurück, wurden aber enttäuscht, da sie schon von zwei jungen Männern besetzt war. Kein Wunder: Am nächsten Tag war Abreise und niemand wollte mehr als fünf Kilometer von Lennartsfors entfernt zelten. Schon von weitem sah man alle Ufer vor roten "scandtrack"-Zelten leuchten. Wir einigten uns aber mit den beiden, die Insel gemeinsam nutzen zu können und waren gerade dabei, unsere Zelte aufzubauen, da sahen wir in der Ferne eine geführte Kanutruppe über den See taumeln. Geführte Gruppen haben von außen betrachtet immer etwas Witziges an sich. Unkoordiniert schoben sich die Boote näher an unsere Insel und wir beruhigten uns mit Worten wie: Hier ist keine Hütte, deswegen können hier nicht mehr als vier Leute übernachten (das ist eine Regelung des Jedermannrechts. Das Jedermannrecht besagt, dass Gruppen bis maximal vier Leute überall in Schweden und Norwegen für eine Nacht ihr Zelt aufschlagen dürfen, sofern es nicht in Sichtweite von Privathäusern ist und sie die NatureCard besitzen. Was wir taten.) Aber dann legten die vielen Boote doch ausgerechnet an unserer Insel an. Die Leiterin stieg aus, kam geradewegs auf uns zu und erklärte uns mit viel Mitgefühl, sie hätten just diese Insel für diese Nacht gebucht, wir müssten uns leider einen anderen Platz suchen. Wir waren zunächst verblüfft und dann entrüstet, konnten aber gegen die Macht der Reisegruppe auch nichts ausrichten und bauten wieder ab.

 Eine halbe Stunde später dümpelten wir hoffnungslos über den See. Die Ufer schienen in noch bedrohlicherem rot zu leuchten. Alles voll. Alles besetzt. Schließlich erinnerten wir uns unserer Taktik vom ersten Tag, guckten uns eine Insel aus und umrundeten sie einmal ganz. Und tatsächlich: Auf der Seite, die dem Festland abgewandt war, fanden wir noch zwei Zeltplätze und eine Feuerstelle. Zwar kein Klo, aber ansonsten für uns wirklich perfekt. Zum Baden war uns zu kalt, aber zumindest hängten wir ein letztes Mal unsere Haare ins Wasser, rösteten uns abends ein paar Marshmallows und gingen früh zu Zelt.

 Am nächsten Morgen standen wir um sieben auf, frühstückten, packten unsere Sachen und fuhren zeitig nach Lennartsfors. Wir waren unter den Ersten und hatten kein Problem, unsere Sachen schnell umzupacken und alles abzugeben, was wir zuvor ausgeliehen hatten. Wir trafen den Hängemattenmann wieder, der immer noch so sympathisch war wie zuvor. Auch unsere Versorgungstonnen waren mittlerweile ja viel leichter zu tragen. Anschließend bugsierten wir unser persönliches Hab und Gut wieder zurück durch den Wald ins Basiscamp und waren eigentlich ganz glücklich. Wir nahmen unsere Rucksäcke und einen großen Beutel voller Pfandflaschen mit und spazierten in den Ortskern von Lennartsfors. Laut Karte sollte hier wieder eine Einkaufsmöglichkeit sein, und wenn uns noch mal so ein riesiges Shoppingcenter erwarten sollte, dann standen unsere Chancen gut, hier noch ein paar schwedische Kronen als Pfand wiederzubekommen.

 Lennartsfors war wie ausgestorben. Die einzigen, die uns entgegenkamen waren andere deutsche Kanutouristen. Schweden sind hier offenbar Mangelware. Und auch vom Supermarkt, oder was immer es sein sollte, war keine Spur. Wir setzten uns an den Hafen und aßen unsere letzten Kekse. Neben uns tauchten plötzlich doch noch ein paar Schweden auf in Form von Hafenarbeitern, die mit gabelstaplerartigen Kränen Boote aus dem Wasser hoben. Imke, die gute Seele, nutze ihre Fähigkeit zur schwedischen Sprache und fragte mal nach der Einkaufsmöglichkeit. Knapp kam die Antwort, dass es so etwas in Lennartsfors nicht gäbe. Und so nahmen wir schlussendlich doch alle unsere Sachen wieder mit und bummelten zurück zum Camp. Unterwegs besuchten wir interessehalber die Information des angrenzenden Campingplatzes und amüsierten uns über ein Schild, das dort hing. Was auf deutsch lediglich eine Aufforderung war, die Hunde an der Leine zu halten und deren Hinterlassenschaften wegzuräumen, las sich auf Englisch: „All dogs must be in a line in the whole camparea and pick up the shitt after shitting.“ Die bildliche Vorstellung, wie alle Hunde in einer Reihe stehen und ihren „shitt“ aufsammeln, ließ uns in herzhaftes Gelächter ausbrechen. Das Kopfkino war nicht mehr zu stoppen. 

 Weiter vor uns hingrinsend liefen wir die letzten paar Schritte zum Scandtrack-Camp. Das hatte sich mittlerweile gut gefüllt mit anderen Heimkehrern. Wir betrachteten die Busfahrpläne und stellten fest, dass wir unglücklicherweise wieder in verschiedene Busse eingeteilt waren. Unsere Pfandflaschen ließen wir auf Rat eines scandtrack-Mitarbeiters einfach vor der Terrasse stehen. Auch wenn wir dafür kein Pfand mehr bekamen, waren wir doch froh, sie endlich los zu sein.

 Zum Abendessen gab es Köttbullar mit Preiselbeeren und Kartoffeln. Die Sonne schien und es schmeckte und wir genossen unsere letzten gemeinsamen Minuten. Um sieben ging der Bus von Theresa und mir und wir waren trotz der Überzeugung, die Ersten sein zu müssen, die Allerallerletzten. Ich kann bis jetzt nicht erklären, was ich mir da eigentlich gedacht hatte. Als ich einstieg, war kein einziger Doppelsitzer mehr frei, aber es brauchte nur ein paar freundliche Worte und keine Minute, da taten sich zwei einzelne Männer zusammen und  ich konnte mit Theresa zusammen sitzen. Der Zusammenhalt und die Freundlichkeit in einer Gruppe aus Fremden könnte nicht besser symbolisiert werden. Irgendwie hatte doch jeder das Gefühl, den anderen zu kennen. 

 Auf die Minute pünktlich ging es los und der Bus war auch viel gemütlicher als der, mit dem wir gekommen waren, und die Nacht war klar und die Reisekaugummis aus Töcksfors halfen und... irgendwie war es gut. Wir verpassten die erste Fähre nach Dänemark um circa zwei Minuten und mussten eine Stunde warten und was alle anderen ärgerte, freute uns ungemein, weil wir so noch einmal Paula und Imke wiedersehen konnten, deren Bus vierzig Minuten später als unserer gestartet war. Wir trafen sie aufgrund mangelnder Absprache zwar nur kurz, aber ich war glücklich, ihnen noch einmal ordentlich auf Wiedersehen gesagt haben zu können. Auch die zweite Fähre verpassten wir knapp, aber es kümmerte mich nicht besonders. Ich hatte keine Eile, und wenn ich richtig rechnete, waren wir immer noch weit unter der angegebenen Zeit.

 Die deutsche Morgendämmerung empfing uns neblig. Im Radio brachten sie die Nachricht, dass die Fähren nicht mehr fahren würden, weil die Sichtweite weniger als 50 Meter betrage und ich war froh, dass wir schon fast in Hamburg waren. Glück gehabt. Mich umfing das wohlige Gefühl, wie in Watte gepackt zu sein, und still und weich und vorsichtig wieder in die Zivilisation zurückgeführt zu werden. Ich hatte kaum geschlafen, aber komischerweise machte mir das gar nichts. An der Raststätte Allertal hielten wir Pause und ich kaufte mir ein Brötchen, ich konnte das "Fitnessbrot" einfach nicht mehr ersehen. Um elf, also tatsächlich zwei Stunden vor der Angabe auf dem Rückreisevoucher, waren wir in Bielefeld. 

 Das Gefühl anzukommen, war komisch. Ja, ich freute mich auf eine warme Badewanne. Aber doch musste man sich erstmal wieder daran gewöhnen, dass Häuser Wände haben, dass man nach dem Toilettengang abspülen kann und dass es elektrisches Licht gibt und Leute um einen herum. 

 Ja, es war ein Abenteuer. 

 Ja, ich würde es wieder tun.

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Autor: Corinna K., 13. Oktober 2014