Berichte letzte
Saison

In 30 Jahren haben unzählige unserer Gäste Ihre Kanureise in spannenden Reiseberichten festgehalten. Schau, was sie in Schweden für spannende Abenteuer mit scandtrack erlebt haben und lass dich inspirieren! 

Berichte letzte
Saison

In 30 Jahren haben unzählige unserer Gäste Ihre Kanureise in spannenden Reiseberichten festgehalten. Schau, was sie in Schweden für spannende Abenteuer mit scandtrack erlebt haben und lass dich inspirieren! 

Autor: Marc-Peter S., 15. Oktober 2013
Vater und Sohn eine Woche auf Övre Gla Stora Gla

Freunde, hier tägliche Ausschnitte aus unserem Reisetagebuch Glaskogen 2013. 

1. Tag – Freitag Nachmittag, 05. Juli - Anreise

In aller Eile packen wir die letzten Sachen und machen uns,  behängt mit Schlafsäcken und Isomatten, Kleidung, Angelausrüstung, Reiseverpflegung und zahlreichen Outdoor-Untensilien zu Fuß auf den Weg zum Westbahnhof.  Es ist heiter sommerlich – blauer Himmel, warme Temperatur, die durch eine leichte Brise wohltuend gemildert wird.

Die Anfahrt 

Nicht  alle Reisenden haben das gleiche Scandtrack Outdoor Leistungspaket „Naturreservat Glaskogen“ gebucht, sondern zwei weitere Komplettpakete, nämlich „Nordmarken auf eigene Faust“ und die „Morning Light Kanutour“ – eine von einem deutschen Guide geführte Gruppentour – wurden gleichfalls gewählt. Alle drei Kanugebiete befinden sich  recht nah zueinander, nämlich im südlichen Mittelschweden,  in der  Provinz Värmland, nordwestlich des riesigen Vänern Sees, und nah an der norwegischen Grenze. Dort ist  auch der größere der beiden Seen, die wir bepaddeln werden, gelegen - der 32 Quadratkilometer grosse „Stora Gla“.

Vorläufiges Ziel der Reise ist der von Holzwirtschaft und etwas Tourismus abhängige und nur 169 Einwohner zählende Ort Lennartsfors. Er liegt nur 4 Kilometer von der Grenze zu Norwegen entfernt. Dort unterhält das Touristik-Unternehmen Scandtrack ein großes Outdoor-Basislager, von welchem aus viele Kanutouren starten. Der Sohn und ich jedoch sollen von dort durch ein einheimisches Busunternehmen zum Naturreservat Glaskogen gebracht werden. Bis dahin sind es allerdings noch viele zunehmend dösige Stunden Autofahrt, die durch kurze Pipi- und Raucherpausen sowie die beiden Fährfahrten von Deutschland nach Schweden über Dänemark unterbrochen werden. Dies sind zunächst die 45 minütige Überfahrt Puttgarden-Rödby, und dann die nur 20 Minuten dauernde Fahrt Helsingör-Helsingborg. Beide Fährpassagen erleben Sohn und ich schlaftrunken, denn es ist tiefe Nacht, als wir jeweils den Bus verlassen und  zusammen mit anderen Passagieren auf dröhnenden Stahltreppen zu den oberen Decks hochsteigen. Denn der Aufenthalt im Autodeck  ist während der Überfahrt nicht erlaubt. 

Wir wundern uns über die Unmengen Dosenbier, die von jüngeren meist männlichen Mitreisenden im Duty Free Shop eingekauft werden. Auch ich stelle es mir als angenehm vor, in der Wildnis beim abendlichen Lagerfeuer ein dänisches Tuborg zu trinken. Doch widerstrebt mir die Idee – einen Genuss zu haben, den ich mit dem Sohn nicht teilen kann.

So bleibt es beim müden Schlendern durch die  öffentlichen Deckbereiche, dem Betrachten zollfreier Waren, die wir nicht brauchen und nicht kaufen, wenigen Worten, die wir miteinander wechseln und einem kurzen Erhaschen salziger Seeluft nebst schnellem Blick in die dunklen Tiefen der bewegten Ostsee unter uns.

2. Tag – Samstag, 06. Juli – Ankunft im Baiscamp und der erste Tag auf dem Wasser

Die Ankunft in Schweden nach der zweiten Überfahrt am frühen Morgen nehmen wir kaum wahr, denn erneut übermannt uns der Schlaf, sobald wir zu unseren Sitzplätzen zurückkehren. Erst Stunden später auf einem Autobahnrastplatz in der Nähe von Göteborg wachen wir auf und beginnen den Tag. Ja, das ist Schweden: Klare frische Luft. Eine leichte Brise unter blauem Himmel, und selbst hier, unweit der zweitgrößten Stadt des Landes (über 900.000 Einwohner), beherrschen kiefergrüne, felsgraue und flechtengelbe Farbtöne das Landschaftsbild. Mehr noch als bei uns in Deutschland erscheinen mir Betonteile, Asphaltbänder und bunte gläserne Gebäudekonstruktionen künstlich in diese junge nacheiszeitliche Landschaft hineingesetzt. 

Bis zur Ankunft im Basislager Lennarsfors  westlich des riesigen Vänersees, des drittgrößten Sees Europas, kommen wir an unzähligen kleineren, das heißt hier –überschaubaren-, stehenden Gewässern vorbei. Die seichteren sind an ihren Rändern oft mit Schilf bestanden. Hier und da steht in Ufernähe ein Holzhaus, gestrichen in der typischen rostroten Farbe Skandinaviens. Und so bekommen wir schon unterwegs einen Vorgeschmack auf das Wasser, das uns erwartet, obgleich „unsere“ beiden Seen unvergleichlich größer sind

Aber dann wir sind da! Endlich!  Einige Meter vom Bus entfernt gesellen wir unser Gepäck  zu dort bereits abgelegten Stücken neben einem Schild mit der Aufschrift „Glaskogen“.

Dann erhalten wir zur Begrüßung auf der schattigen Holzterrasse eines Versorgungsgebäudes süssen Instant Tee via Selbstbedienung– ich bevorzuge Wasser- ,sowie ein von einer Scandtrack-Mitarbeiterin ausgehändigtes Mini-Hotdog. Für den Sohn ist es wichtig, seine Kleidung zu wechseln, und so verschwindet er mit frischer Wäsche in Richtung Naturtoilette – auch Plumpsklo genannt - eine Konstruktion, die wir während unser weiteren Reise noch intensiver kennen- und schätzen lernen werden. 

Glaskogen

Unser "Mitarbeiter vor Ort" verteilt  pro Kanu je einen Kunststoffeimer mit aus Deutschland herbeigeschafften „Frischwaren“. Das sind je 4 giftgrüne Granny Smith-Äpfel, Kartoffeln, Zwiebeln,Tomaten, eine Gurke, Speck, Salami, Margarine – in Ergänzung zu den länger haltbaren Lebensmitteln, die bereits in einer wasserdichten „blauen Tonne“ enthalten sind, wie da wären: Diverse Konserven, Fertigsuppen, Mehl, Milchpulver, Kekse,  Zucker, Salz, Gewürze, Backpulver, süßer Instant Tee in riesigen Mengen, Marmelade und Nutella (oh Schreck! – aber der 11-jährige besteht darauf, dass wir sie mitnehmen.), Schokolade, mehrere Packungen Sauerteig-Vollkornbrot und noch vieles mehr, was ich hier nicht aufführe. 

Dann bekommen wir die übrigen Materialien ausgehändigt, die von nun an unsere ständigen Begleiter sein werden.

Wir sind die letzten aus unserer kleinen Gruppe, die ihr Kanu zu Wasser  lassen, und auch die Einzigen, die das Angebot einer kurzen Einweisung durch den „Mitarbeiter vor Ort“ annehmen. Erst viel später, gegen Ende der Reise, bemerken wir, dass wertvolle Tipps darüber auch im Outdoor-Handbuch abgedruckt sind, und wir bedauern, dort nicht schon früher hinein geschaut zu haben.

Heute möchten wir nur eine bescheidene Strecke auf dem Wasser zurücklegen, da die Busfahrten und neuen Eindrücke doch erheblich an unseren Kräften gezehrt haben. Und wenig später kommen wir an einer etwa 8 Meter schmalen und 30 Meter langen Felseninsel vorbei. Trotz ihrer geringen Größe ist sie immerhin mit einigen niedrigen Kiefern und  Heidekraut bestanden und sieht in der warmen Nachmittagssonne freundlich einladend aus. Dieses Angebot nehmen wir an!  Und so entladen wir – etwa 200 Meter vom Festland entfernt – das Kanu und heben es auf den Felsen. Ja, hier wollen wir bleiben, hier ruhen wir aus.  

Und bald wage ich ein erstes Bad im See. Erst vorsichtig und dann haltlos rutsche ich auf einem glitschigen Felsen ins Wasser hinein, und es ist - nach der langen Anreise – einfach herrlich! Die Abkühlung tut gut. Hier kann ich nach Belieben auf dem Rücken schwimmen, ohne mich – anders als in den gut besuchten Freibädern Frankfurts – ständig nach Kollisions-Kandidaten umschauen zu müssen.  Die ersten 30 cm Wasserschicht sind im Windschatten der  Inselnähe sogar  angenehm erwärmt, - und so tauche und schwimme ich einmal um unsere Insel herum und ermuntere den Sohn, es mir nachzutun. 

Der Sohn möchte bereits am ersten Tag unbedingt noch angeln. Also machen wir zwei Angeln und den Kescher fertig und bewegen uns das erste Mal mit dem unbeladenen Kanu auf dem Wasser. Wir versuchen es mit Gummifischen am hakenbewehrten Bleikopf zwischen Insel und Festland in ca. 6 bis 8 Meter Wassertiefe, welche wir zuvor mittels eines auf der Angelrute montierten mechanischen Tiefenmessers ermittelt haben.  

Das Angeln im unbeladenen Kanu ist bei Wind, der heute aus westlicher Richtung weht,  nicht  einfach. Schnell treiben von der Insel weg in Richtung Festland, da ruft der Sohn plötzlich: „Papa, ich hab‘ was dran!“ Wir sind  gespannt, was da hochkommt – und dann erscheint ein dunkel gefärbter Barsch an der Bootswand, den ich erfolgreich keschere. Mit seinen 24 Zentimetern zwar kein Riese, aber auch kein ganz Kleiner. Noch einige mehr von seiner Sorte, und es würde für eine Mahlzeit reichen. Darum paddeln wir eilends zurück  und wiederholen das Manöver – diesmal leider erfolglos. Jedoch hat der Wind dermaßen aufgefrischt, dass wir in kürzester Zeit die 200 Meter zwischen Insel und Festland abtreiben und aufpassen müssen, nicht ans Ufer gedrückt zu werden. Daher geben wir  die Aktion für heute auf und tragen das komplette Boot wieder auf die Insel.

Ich wundere mich, dass der Wind bei vorgerückter Stunde noch weiter zunimmt, denn  meiner  Erfahrung nach legt er sich umso mehr je später der Abend.

 Daher bin ich froh, dass wir uns vor  Abreise von den beiden 15 Euro-Gutscheinen, die Teil der Scandtrack Reiseunterlagen gewesen sind,  beim Outdoor-Händler „Globetrotter“  noch zwei dünne leichte Biwak-Säcke gekauft haben. Denn der Sommer Schlafsack, den der Sohn auf die Reise mitgenommen hat , würde nachts bei einem solchen Wind in wenig geschützter Lage kaum Geborgenheit bieten.  Also stülpe ich seinem Schlafsack noch den dünnen und absolut winddichten Biwaksack über. Und das funktioniert. Der Sohn bestätigt sofort sein Wohlbefinden, und damit bin ich beruhigt und zufrieden.

3. Tag – Sonntag, 07. Juli – unser erster Morgen in der Natur und der erste Hecht

Nach einer Zeit der Besinnung wecke ich den Sohn, der gerne  länger liegenbleiben möchte. Nun, es sind ja Schulferien – ich lasse ihm also die Zeit fürs Aufstehen.

Wie schön hier alles gemacht ist! Wer kann so schön malen? Auf einem Granitfelsen finde ich die typischen Farben, die uns auf dieser Reise von nun an immer begleiten werden. Mit der Kamera halte ich sie fest.

Dann filetiere ich die bereits am Vorabend ausgenommenen Barsche und ziehe ihnen ihre rauhe Haut ab.  Aus den Resten bereite ich einen Sud. Die zerkleinerten Filets ergeben die Einlage.Heute gibt es also Barschsuppe zum Frühstück.

Dann packen wir unsere Sachen  und sehen zu, dass wir weiterkommen. Denn noch heute möchten wir den restlichen Övre Gla durchqueren und das Kanu im Süden bei Lennungshammar in den größeren Stora Gla umtragen. Auf dieser Paddelsstrecke werden wir auch das erste Mal einen der eigens dafür gekauften Wobbler hinter dem Kanu herschleppen. So montiere ich einen auffälligen orange-weissen Wobbler – er sieht aus wie ein Goldfisch – an meiner Hechtrute und schalte ein Stahlvorfach davor.  

Der Sohn sitzt im Heck und ist verantwortlich für die Angel, die dort flach nach hinten ausgelegt ist. Etwas enttäuscht bemerken wir, dass der Wobbler wegen seiner  kleinen Tauchschaufel ziemlich flach läuft, und auch bei strammer Fahrt und langer Leine wohl kaum mehr als 1 – 1 ½ Meter taucht . Dann kann es losgehen.

Das Wetter ist heiter, erfrischend windig und die Wellen drücken uns in Richtung Ufer. Wir stellen fest, dass wir bei der Parallelfahrt am Ostufer auch in 20 bis 40 Meter Abstand davon auf Untiefen achten müssen. Denn das hier scheinbar gleichförmige und insellose Ufer bietet eine reiche Abwechslung an Unterwasserlandschaft. So wechseln sich größere schwarze Tiefen ab mit flacheren Stellen, in denen wir leicht bis auf den Grund schauen. Manche Felsen reichen gar bis knapp unter die Wasseroberfläche – und auf die müssen wir besonders achtgeben, damit wir dort nicht auflaufen und das Kanu beschädigen. Oder, was noch schlimmer wäre, bei Wind und Wellen havarieren.

Es geht weiter entlang des südlichen Ostufers des Övre Gla. Irgendwann höre ich den Ausruf „Hänger!“, und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie der Sohn die voll durchgekrümmte Hechtrute in den Händen hält. Da ich aus Erfahrung mit vermeintlichen Hängern vorsichtig bin, frage ich ihn: „Bist du sicher ?“ Er antwortet: „Ja, das ist ein Hänger.“ Tatsächlich gibt es nicht viel Bewegung, nur das Sausen des Windes an der gespannten Schnur höre ich. Ich frage ihn noch einmal: „Bist du sicher, dass das kein Fisch ist?“ Seine Antwort: „Ja!“

„Okay“, sage ich, „dann paddeln wir zurück über die Stelle, wo der Wobbler festhängt.“

Plötzlich meint er: „Papa, der Hänger ist jetzt woanders!“

Da ist es klar: Das ist kein Hänger, sondern wir haben hier einen kapitalen Fisch an der Angel!

Ich rufe: „Rute hoch, die Schnur muss immer gespannt sein!“ Und was dann folgt, ist in meiner Erinnerung nur noch eine Abfolge von Bildern….

Unter blauem Himmel Schwedens kühles Wasser

Der Sohn sitzt, auf bewegtem Grund schwankend

hält er die lange Angel fest umklammert

sprechen wir kein Wort. 

Klopfende Herzen 

Zeit steht still

Die Sonne.  Wind, so frisch, so kräftig!

Da! Hinten taucht er auf! Wie mächtig sein Rücken!

Der Sohn Angel durchgebogen. Näher ran ans silbergraue Aluminium

Wie ein Stein! So schwer!

Jetzt ist er nah – wir wollen sehen wer du bist! Zeig dich! 

Da – eine kräftige Flucht. Hinweg vom Boot. Nein! Der Sohn gibt nach, Rutenspitze sinkt. 

Die Schnur erschlafft, die Angel biegt sich nicht.

Schmerz wallt auf in unseren Herzen.

Vorbei! Das wars! Der kommt nicht wieder. 

Wer der wohl war?

Der grosse starke schöne wilde 

uns fremd geblieb‘ne  Fisch.

Ja, schlaff hängt die Schnur, und nur der mit einigen Kratzern versehene aber ansonsten unbeschädigte Wobbler taucht wieder im Wasser auf.

Der bald folgende Buvattnett ist –neben der südöstlichen Ecke des Stora Gla - für mich das schönste Wasser: Abwechslungsreich und  unübersichtlich, mit vielen flachen Inseln durchzogen, wechseln sich dort stille und offenere Buchten einander ab. Deren Ränder sind mal mit Schilf, mal mit Seerosen bestanden- jedenfalls nicht so einheitlich und felsig wie der Hauptsee des Övre Gla, den wir eben verlassen haben. Auf einer der Inseln wollen wir rasten und etwas essen. 

Erwartungsgemäß sind hier Spuren weiterer Bootswanderer zu finden, die die Insel ebenfalls zum Aufenthalt genutzt haben. Und so finden wir auch eine Feuerstelle und einige ausgetretene Pfade, jedoch nicht den kleinsten Krümel Abfall. Und an dieser Stelle möchte ich sowohl die Verwaltung des Naturreservates, als auch die Outdoor- Touristen im Glaskogen loben: Nirgendwo auf der Kanureise haben wir Müll oder beschädigte Einrichtungen vorgefunden – alle Rastplätze und Einrichtungen, die wir in dieser Woche aufgesucht haben, waren in sauberem und einsatzbereitem Zustand. Auch Feuerholz war immer reichlich vorhanden. Wobei ich für das Bedürfnis der Jugendlichen nach „Verewigungen“ im Holz der Schutzhütten Verständnis habe. Diese Schnitzereinen und Beschriftungen –sofern sie keine anstössigen Inhalte aufweisen- zähle ich nicht zu den Verunreinigungen, eher zu Lebensäußerungen – ja, wie schön: Menschen waren hier! 

Weil wir müde sind, denken wir daran, das Boot erst morgen umzutragen und die Nacht hier auf einer Insel zu verbringen. So machen wir bald unser Kanu auf der Schattenseite einer „mittelgroßen“ bewaldeten Insel fest. Aber bei einem kurzem Erkundungsgang stellen wir enttäuscht fest: Diese Insel ist unwirtlich. Überall zwischen den Bäumen lauter Felsen und Gebüsch, keine ebenen Flächen und zuwenig Licht. Und wegen der stillen Wasserflächen um die Insel herum sind auch viele Moskitos zu erwarten. Nein, hier bleiben wir nicht ! 

Da ruft mich der Sohn: „Papa, ich habe Pilze gefunden!“

Ich eile dahin, und tatsächlich – da stehen sie: Drei schöne Röhrlinge. Schnell sind sie unten am Stiel abgeschnitten und mit ihrem glücklichen Finder fotographiert. So hat sich unsere Erkundungstour doch noch gelohnt und wir fühlen uns reich beschenkt.

Je weiter wir in Richtung Lennungshammar, also gen Süden, fahren, desto mehr verjüngt sich das Gewässer, bis es kurz vor der Umtragestelle den Charakter eines trägen dunklen Flusses annimmt. Nun ist es nicht mehr weit.

Da meldet sich plötzlich noch einmal der Sohn: „Papa, ich habe wieder einen dran!“ Und tatsächlich, die Angel biegt sich, wenn auch bei Weitem nicht so stark wie bei der Begegnung mit dem Unbekannten im Övre Gla. Er kann den Fisch nun Meter um Meter herbeiholen – ein ganz Großer ist es sicher nicht, da taucht er auch schon auf im rötlich schwarzen Wasser . Ein Hecht! Es gelingt mir, ihn vom Bug her zu keschern und unser beider Freude ist groß: Es ist sein erster Hecht in seinem Leben, und auch ich habe lange keinen mehr gesehen, da Hechte in unserem Hausgewässer – dem kanalisierten Main im Stadtgebiet Frankfurt – kaum geeignete Lebensbedingungen finden.

Wir wickeln ihn in ein Tuch und legen ihn auf den beschatteten Boden des Kanadiers – dort ist es am kühlsten. Dann sind es nur noch wenige Meter bis Lennungshammar.

Dort entladen wir das Boot und setzten es mittig auf den Kanuwagen, was uns erst nach mehreren Versuchen gelingt. Nun kommt sämtliches Gepäck wieder hinein, und dann ziehen und schieben wir unser treues Gefährt etwa 800 Meter zunächst auf der Strasse, dann auf der Schotterpiste in Richtung Stora Gla. Das letzte Stück geht es über den am Hang gelegenen Campingplatz, und zum Schluss steil die baumwurzelbestandene Böschung hinunter, wobei wir hoffen, dass der Kanuwagen das durchhält, denn wir können das beladene Boot kaum stoppen – so sehr möchte es eiligst zum Wasser.

Huch, das ist ja ein richtiger Sandstrand! Das haben wir nicht erwartet. So rollen wir das Kanu samt untergeschnalltem Wagen auf dem Sand so weit ins Wasser bis es schwimmt, dann erst lösen wir die Gurte des Wagens und ziehen ihn unter dem Boot hervor und raus aus dem Wasser.

Bis zu Rastplatz Nr. 8 werden wir es heute nicht mehr schaffen. 

Da finden wir eine langestreckte einsame Halbinsel, die vom Festland nur durch eine schmale Bucht getrennt ist. Zwar gibt es auch hier keinen idealen windgeschützten Lagerplatz, aber diese Insel erscheint uns weitaus geeigneter als jene, auf der wir wenige Stunden zuvor die Pilze gefunden haben. So bringen wir das Boot an Land und schaffen unsere wichtigsten Utensilien einige Meter hoch auf den licht baumbestandenen Inselrücken. 

Nachdem wir den Hecht an einem schattigen Ort im Wind aufgehängt haben, schaffen wir uns zunächst einen hufeisenförmigen Windschutz und kochen auf dem Spirituskocher bei Sonnenuntergang ein leckeres Abendessen,- konkret: Nudeln mit Pilzsauce. Das geht so: Zunächst die kleingeschnittenen und gesäuberten Pilze mit den Zwiebeln in Öl anbraten. Etwas mit Milchpulver angemischtes Wasser sowie Salz und Pfeffer dazugeben. Sobald die Sauce fertig ist, Wasser zum Kochen bringen und die Nudeln darin weichkochen. Dann die heissen Nudeln mit der Sauce vermischen. Dazu wird Vollkorn-Sauerteigbrot gereicht – Voila‘ – bitte dankbar geniessen!

4. Tag – Montag, 08. Juli – ein ungemütlicher Morgen und ein lieblicher Abend

Bis ich auf unserem Felsen aufwache, hat der Wind weiterhin an Stärke gewonnen. Der Himmel ist nun nicht mehr blau, sondern mit einem hellgrauen Schleier überzogen. Die Wellen auf dem See sind von Schaum gekrönt und prallen nach Vollendung ihres Laufs mit  monotonem Klatschen gegen die felsigen Ufer. 

Es ist so anders als gestern, als ich von wärmenden Sonnenstrahlen geweckt wurde. In dieser Stimmung der Natur  sehe ich nunmehr etwas Rauhes, Unwirtliches, ja – als einer, der seinen Alltag normalerweise in einer Großstadt verbringt – sogar Bedrohliches.  Fragen tauchen auf: Werden Wind und Wellen weiter anwachsen? Wie lange müssen wir hier warten, bis wir weiterkommen?  Und was macht der Sohn eigentlich? 

Trotz des heftigen Windes schläft er fest in seinem Biwaksack. Und ich bin nochmals froh, dass wir diese kleinen Utensilien auf die Reise mitgenommen haben. 

Ich lasse ihn auf oben auf dem Felsrücken weiterschlafen. 

Der bedrückenden trägheitsfördernden Stimmung, die in mir aufkeimen will, sollte ich nicht nachgeben  und beginne stattdessen damit, an der windabgewandten Seite des Felsens in Ufernähe einen  windgeschützten Ort herzurichten.  Dabei stelle ich mir Robinson Crusoe vor,  kurz nachdem er als Schiffbrüchiger auf eine verlassene Insel gespült wurde. Kleidung, Nahrung, Unterkunft, das sind – neben dem Verlangen nach einem Gegenüber - die uralten Grundbedürfnisse der Menschheit. Das ist bei mir nicht anders.

So suche ich am Seeufer schwere und an wenigstens zwei Seiten abgeflachte Steine, um sie so übereinander zu schichten, dass sie nicht verrutschen. Und ich werde fündig: Viele Bruchlinien im Felsgestein verlaufen so, dass die durch Temperaturwechsel und Frostsprenung abgeplatzten Verwitterungsprodukte Quader oder Rhomboeder bilden. Die schönsten Exemplare trage ich Stück für Stück zusammen und schichte Sie an der Stelle auf, wo der Wind noch um die Felsrundungen herumstreicht. Danach staple ich aus demselben Material  einen Frühstückstisch und glätte den Boden, indem ich die kleineren und mittleren Steine entferne. In einer Felsspalte plaziere ich den Kocher. Fertig ist die neue Wohnung!

Dann aber wird es Zeit zu frühstücken, nicht nur um zu geniessen, sondern es ist auch so: Wir brauchen Kalorien, denn denn der Energieverbrauch unserer Körper steigt mit Einsetzen des kühlenden Windes sprunghaft an. 

Daher  lassen wir uns nicht lumpen und fahren reichlich auf: Käse, Wurst, Margarine, Erdbeermarmelade und süsser Tee – zuhause im Zeitalter der Stoffwechselerkrankungen nur in möglichst geringen Mengen angesagt – in dieser Situation sind sie herzlich willkommen!

Die Schaumkronen bleiben auch am späten Vormittag. Aber ich spüre, dass das Wetter mit der mittaglichen Erwärmung milder wird. Bis dahin wollen wir unsere Halbinsel zu Fuss erkunden. 

Mit der Ankunft im Lager, d.h. in unserer  kleinen Zivilisation, hat auch der Wind nachgelassen, und wir beschliessen, das Boot zu wässern, sobald keine Schaumkronen mehr sichtbar sind

Wir freuen uns, endlich wieder auf dem Wasser zu sein und  befahren, da die Wellen zum offenen See hin doch noch recht kräftig sind, zunächst die fjordähnliche schmale Bucht, die durch unsere langgestreckte Halbinsel und das Festland gebildet wird – in der Hoffnung  irgendwo eine  Durchfahrt zum Hauptsee zu finden. Nirgendwo auf unserer Tour haben wir  einsameres Wasser befahren. Kein Laut  ist zu hören, steile Felsen fallen fast senkrecht in tiefschwarzes Wasser  hinab. Unheimlich. Doch, dort an verstecktem Ort ist ein gepflegtes kleines Boot festgemacht, ab und zu kommt also doch ein Mensch hierher……

Wir finden keinen Durchlass, dafür aber die  Mündung eines etwa 3 Meter breiten Baches, der, in seinem Bachbett leise gurgelnd, bis hierher seinen Weg durch die Felsen findet. Seine Mündung macht einen zarten, einsamen, wilden und empfindlichen Eindruck, so dass wir uns bald als Eindringlinge empfinden, den Kanadier wenden und unseren Weg auf dem offenen See parallel zum Ufer fortsetzen.

Wenige Zeit später bricht die Sonne hervor. Wir sind erleichtert, dass mit ihrem Erscheinen auch Wind und Wellen geringer werden. Nachdem wir einige offene Buchten gekreuzt haben, durchfahren wir kleine Lagunen-ähnliche Gewässerstrukturen. Dort umschliessen kleine Inseln und runde glatte Felsen das Wasser - von wenigen Durchlässen abgesehen - von fast allen Seiten. Wellen haben kaum Angriffsfläche, so dass wir den unter uns liegenden Seegrund ohne Verzerrung oder Spiegelung klar erkennen. Hier fühlen wir uns so sicher wie in einem Freibad und legen an einem flachen Felsen für eine kurze Pause  an. 

Dann geht es weiter – denn nach zwei Nächten unter freiem Himmel hoffen wir für heute auf die Geborgenheit einer Schutzhütte.

Und die finden wir. An Rastplatz Nr. 8 sind beide Hütten ohne Belegung, was wir wohl dem Umstand verdanken, dass wir dort gegen 13:00 Uhr eintreffen, also zu einer Tageszeit, an welcher mögliche Vornutzer bereits aufgebrochen sind und die meisten Nachnutzer sich noch auf dem Wasser befinden,  die Quartiersuche für letztere also aktuell noch kein Thema ist.

Die Schutzhütte ist mit herrlicher Aussicht gegen Osten, Sonnenaufgang, in einem lichten Kiefernhain auf einer schmalen Landzunge gelegen, mit Blick über die südliche Ausbuchtung des Stora Gla. Sie befindet sich etwa 7 Meter über der Seefläche. Unweit davon befinden sich die zweite Hütte nebst riesigem Holzvorrat sowie ein  geschlossenes Plumpsklo - eine Einrichtung, die wir zu schätzen wissen. Denn sowohl der Schutz der Intimsphäre als auch ein bequemes Sitzbrett beim Geschäftemachen sind nach nur zwei Tagen in der Wildnis für uns keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern wertvolles Luxusgut.

Die Sonne sinkt, die Schatten werden länger. Da wir unsere Gepäckstücke soweit verstaut und alles für die Übernachtung vorbereitet haben, dazu gesättigt sind, ist noch etwas freie Zeit übrig. 

In beiderseitiger Begeisterung wollen wir auch den zweiten Abend unserer Tour mit Angeln  verbringen. Schnell lassen wir das auf der gegenüberliegenden flachen Seite der Halbinsel gelagerte Kanu zu Wasser. Ich soll dann allein damit um die Festlandspitze herum fahren und den Sohn nebst Angelzeug auf dem anderseitig steil ins Wasser abfallenden Felsen aufnehmen. So der Plan. 

Zunächst klappt alles prima. Ich gleite auf ruhigem Wasser um die Landspitze herum, da spüre ich einen Schmerz am Knöchel. Und noch einen! Was ist da los? Ich kann mich nicht auf das Paddeln konzentrieren!  Mein Blick gleitet nach unten, und mit Erschrecken nehme ich wahr, dass meine Füsse, Knöchel und Unterschenkel am Boden des Kanus von hin und her eilenden Ameisen heftig attakiert werden. Schnell rekonstruiere ich: In der Zeit, als das Boot an Land war, hat sich ein Ameisenvolk hinter dem sonnengewärmten Alublech, am Bug des Bootes, ein von außen nicht sichtbares Nest gebaut. Nun ist es gewahr geworden, dass die einstmals erfreulich hohe Innentemperatur des neuen Baues wegen der Wasserkühlung rapide abnimmt, jedoch der Weg zurück zum Land abgeschnitten ist. Dazu befindet sich ein feindlicher Riese in unmittelbarer Nachbarschaft. Sicher ist er für all das Chaos verantwortlich - auf ihn mit Gebrüll! 

Während also unzählige Arbeiterinnen mit kleinen Ameiseneiern zwischen ihren Kiefern auf der Bootsreeling mal hierhin, mal dorthin laufen, greifen mich die größeren Soldatinnen pausenlos an. Zunächst versuche ich, mich mit ihnen zu arrangieren: „Ich lasse Euch in Ruhe – lasst ihr mich bitte auch in Ruhe“. Aber spätestens nach dem fünften schmerzhaften Biss grabe auch ich das Kriegsbeil aus. Denn wie wäre es, wenn das Volk hier wohnen bliebe, während sich Ben und ich mit vollbeladenem Kanu in einer schwierigen Situation befänden? Und wir dann angegriffen würden. Nein, das ist kein schönes Szenario ! 

Solange also der Sohn sich am Ufer wundert, warum Papa im Boot draußen auf dem Wasser mit seinen Armen bald hierhin, bald dorthin schlägt – beginnt ein düsteres Kapitel meiner Biographie: Um es kurz zu machen: Alle, deren ich an diesem und dem Folgetag habhaft werden konnte, sind als Fischfutter im See gelandet. Was mir auch leid tut. Und ich hoffe, dass einige Überlebende sich in der Nacht doch noch an Land bringen konnten, um neu anzufangen und diese Geschichte an die Nachkommen weiterzugeben, - mit der Lektion, in Zukunft besser keine Ameisennester in Kanus anzulegen.

Endlich kann ich den ungeduldigen Sohn samt Ausrüstung an Bord nehmen. Wir fahren etwa 80 – 100 Meter hinaus auf den See. Der Plan ist, in 6 bis 12 Metern Wassertiefe mit Gummifischen den Gewässergrund abzufischen. 

Aber nachdem der Tiefenmesser bereits bei 25 Metern angelangt ist, paddeln wir doch näher ans Land und probieren es in halbem Abstand. Plötzlich meint der Sohn, er hätte „etwas dran“. Und tatsächlich, das kann kein ganz kleiner sein, denn seine leichte Spinnrute  biegt sich beträchtlich. Und obwohl er den Fisch Stück für Stück näher ans Boot bringen kann, hat dieser doch immer wieder die Kraft, in kurzen Fluchten entgegen der eingestellten Bremse Schnur von der Rolle zu nehmen. Dann endlich ist er nahe der Bootswand:  Wasser kräuselt die Oberfläche, und ich bin gespannt was es ist. Schon bin ich bereit zum Keschern und bedeute dem Sohn, ihn hochzubringen, da wird die eben noch straff gespannte Schnur schlaff und lediglich der Gummifisch am Bleikopf taucht auf. 

Wieder Pech gehabt! Die Geschichte hatten wir ja bereits tags zuvor erlebt, aber dieses Mal erscheint mir der 11-jährige noch trauriger. Wenigstens hat er heute den Fisch von seiner Positon im Kanu aus gesehen. Er meint, es sei ein sehr großer Barsch gewesen, den er da verloren hat.

Ich mache ihm Mut, es trotzdem weiter zu versuchen.  Zunächst halbherzig und lustlos beginnt er,  dann aber überwindet er seine Enttäuschung und ist wieder voll bei der Sache.

Das soll nicht unbelohnt bleiben. Wenig später ein kurzer Zuruf:

„Ich hab‘ was Größeres“ – und wir sind gelassen und dabei hochkonzentriert. Anders als der Wobbler, der mit zwei Drillingen, also insgesamt 6 Haken, ausgestattet ist, befindet sich am Gummifisch nur ein einziger Haken. Und wenn der nicht richtig sitzt, ist der Kampf schnell verloren. Ich gebe es dieses Mal ganz in Gottes Hand, ob wir diesen Fisch bekommen oder nicht.

Da sehen wir einen grüngelben länglichen Körper im dunklen Wasser und wissen sofort: Diesmal ist es wieder ein Hecht! Zwar kein Kapitaler, aber größer als der Gestrige.

Und bald liegt er im Kescher. Wir freuen uns beide. Das ist ein Schöner - 59 Zentimeter lang und sicher über 3 Pfund schwer!  Noch im Boot fotographiere ich Fänger und Fang. 

5. Tag  -  Dienstag 09. Juli - Außer Kontrolle

Gegen Mittag verabschieden wir uns von Rastplatz Nr. 8 und  setzen unseren Kurs ab hier nicht mehr in östlicher, sondern in südlicher Richtung fort, und fahren damit die südlichste, von vielen kleinen, mittleren und auch großen Inseln durchsetzte Bucht des Stora Gla aus. Da bereits der ausgenommene und gesäuberte Hecht vom Vorabend als Proviant am kühlenden Bootsrumpf liegt, angeln wir nicht, sondern konzentrieren uns allein aufs Paddeln, - - bis wir in der tief eingeschnittenen Bucht bei Ramana eine paradiesisch anmutende und windgeschützte Stelle finden, wo wir eine Pause einlegen.

Wie herrlich! Hier, in ein bis drei Meter tiefem klarem Wasser wage ich ein Bad im Adamskostüm. Ja, das ist Freiheit ! 

Dann setzen wir die Reise fort, schwenken parallel zum Uferverlauf auf Kurs Nordost. Der Wind hat kräftig zugenommen, und da er aus Nordwest weht , hat er an dieser Stelle satte 6 Kilometer freie Wasserfläche, Raum sich auszublasen und entsprechende Wellen vor sich herzuschieben. Da die Wellen von links fast senkrecht zu unserem Kurs anrollen, also genau auf die Längsseite des Kanus treffen, versuchen wir einen Zickzackkurs in etwa 50 Meter vom Ufer, paddeln also so, dass wir die Wellen wenigstens in leichtem Winkel schneiden, immer wechselweise mit dem Wind und gegen den Wind.

Vor der Insel Bjurön, nahe bei Rastplatz Nr. 9,  können wir ganz unerwartet das Kanu nicht mehr nach rechts zum östlich liegenden Ufer hin drehen. Wie kann das sein!  Stattdessen nehmen wir Fahrt auf nach Norden in Richtung Seemitte. Ich verstehe das nicht und befehle dem Sohn, mit mir zusammen das Paddel nur auf der linken Seite einzustechen , damit wir uns nach rechts drehen. 

Aber je mehr wir uns bemühen, desto schneller entfernen wir uns vom Ufer, jagen weiter auf den See hinaus. Das Adrenalin schiesst mir ins Blut, denn mir wird klar, dass wir auf offenem See die Kontrolle über das Kanu verloren haben. Wir machen noch einen dritten Versuch, das Boot mit vereinten Kräften nach rechts zu zwingen. Zwecklos – geht nicht! Ich schreie, der Sohn schreit auch was – nur keine Panik – es muss eine Lösung geben! Ich bete.

Da wird es auf einmal ganz still in mir – im Geiste sehe ich, wie sich das Kanu links herum dreht - und ich dem 11-jährigen zu, dass wir das Boot trotz des bewegten Wassers und gegen unser Empfinden links herum, gegen den Uhrzeigersinn, drehen  müssen. Das ist die einzige Möglichkeit, wieder auf Kurs zu kommen. Wir sind beide hochkonzentriert bei der Sache - und es gelingt!  Wir drehen uns inmitten der Wellen um etwa 270 Grad, bis diese das Heck von hinten wieder in Richtung Ufer schieben. Augenblicklich bin ich erleichtert, achte jedoch  peinlichst darauf, dass wir den Wind nicht wieder von schräg hinten, sondern direkt von hinten empfangen. 

Erst einige Tage später, bei einem Gespräch mit einem erfahrenen Kanuten,  werde ich verstehen, warum wir beide in dieser Situation so machtlos waren. 

Wir fahren bei Rastplatz Nr. 9 erleichtert und erschöpft in eine geschützte Bucht ein und sondieren die Lage. Hier gibt es insgesamt 4 Schutzhütten, und eine davon ist vielleicht noch frei. 

Die drei nahe beieinander stehenden und aktuell dem Wind ausgesetzten Hütten, die auf dieser Seite der Halbinsel gelegen sind, sind allesamt besetzt.

Ich wundere mich, dass da vier hochwertige Klappstühle mit Rückenlehne vor der ersten Hütte stehen und erfahre, dass sich die kleine Gruppe, die in zwei Kanus unterwegs ist,  diesen Luxus – ebenso wie die vielen Dosen dänischen Bieres - bewusst gönnt.  

Von Ihnen erfahren wir, dass die vierte Hütte, die sich auf der anderen Seite der vergleichsweise breiten Halbinsel befindet,  entweder per Boot über das Wasser oder aber über einen Steg, der von diesem Standort über einen Sumpf führt, erreicht werden kann.

Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und besteigen flugs das Boot, umrunden die Landspitze und tragen Ausrüstung und Kanu den baumbestandenen Hang hoch zur vierten Hütte. 

Diese liegt zwar etwas einsam, mit Blick über eine schmale Bucht in Richtung Osten, ist aber sauber und mit allem versehen was wir brauchen: Sitzbänke, Feuerstelle, Feuerholz, dazu ein Hüttenbuch, in welches man eine persönliche Note eintragen und auch etwas über die Vorbenutzter erfahren kann. 

Nach einer Erkundungstour bereite ich das Abendessen vor – Hechtsuppe mit einer Einlage aus Kartoffeln, Zwiebeln und Äpfeln.

Dazu zerteile ich den Hecht in 5-6 cm dicke Koteletts, und koche diese im Alutopf: Das erste fertige Stück geht direkt an den Sohn, die anderen wandern in die Suppe.

Nachdem ich den Sud beiseite gestellt habe, beginnt die eigentliche Arbeit:  - nämlich das Fischfleisch von den Gräten zu lösen. Die Pulerei  erfordert Disziplin und Geduld, aber ich weiss, dass das Ergebnis die Sache lohnen wird. Danach kommen die Fischbrocken zurück in den Sud. Ich gebe dann noch die vorgekochten Kartoffeln, Apfelstücke, Salz, Pfeffer und eine geschnittene Zwiebel dazu und lasse das Ganze noch ein wenig weiterköcheln – fertig ist die nahrhafte Mahlzeit! 

Wir wollen uns mit heissem Tee gerade zur Nachtruhe begeben, als wir vom nahen Seeufer her ein gleichmäßiges Bollern hören: BOING!  ---- BOING!—BOING!  Das ist unser Boot! Der Wind drückt das Wasser also in die schmale Bucht hinein, die Wellen stossen es an das felsige Ufer. 

Wir eilen hinunter, heben den (nach Angaben des Herstellers) über fünf Meter langen und 38 Kilo schweren Kanadier aus dem Wasser und tragen ihn wenige Meter auf das mit jungen Kiefern und Blaubeersträuchern bewachsene Plateau hinauf, wo wir ihn dann umdrehen.

6. Tag  -  Mittwoch 09. Juli - Pfannkuchen mit Blaubeeren

Später zucken Blitze durch den Nachthimmel, entferntes Donnergrollen ist zu hören. Jedoch, der Regen lässt auf sich warten. Und erst nach dem Auftauchen aus dem Tiefschlaf am nächsten Morgen, als ich zwei Zentimeter Wasser in den Gefässen vorfinde, merke ich, dass es auch bei uns geregnet hat – das erste Mal seit unserer Abfahrt aus Frankfurt.  Ich staune: Hier sind kaum Spuren davon zu erkennen, weil der ausgetrocknete Humusboden, durstig wie ein Schwamm, bereits alles Wasser aufgesogen hat.

Nach einiger Zeit erhebt sich auch der Sohn von seinem Lager. Und mit ihm bricht sich die Sonne Bahn durch das Einheitsgrau des diesigen Morgens. Frisches Blau taucht auf – ja, das ist die „Uppsprickande Mölntäcke“ – die aufspringende Wolkendecke!  Aber wie schade - kein Schwede ist da, dem ich das lauthals zurufen könnte…

Während ich heute morgen die erwärmten Reste der Hechtsuppe von gestern verspeise, macht sich Ben auf dem offenen Holzfeuer in der Pfanne eine Portion deftige Bratkartoffeln.

Ab diesem Übernachtungsort, dem vierten der sieben Tage dauernden Kanutour, beginnt auch unsere Kehrtwende Richtung Startpunkt. Den von dort aus entferntesten Zipfel des Stora Gla, die Bucht von Rämona, haben wir gestern befahren. Heute wollen wir das übrige Ostufer und die Hälfte des Nordufers bepaddeln. Die Weiterrreise verschieben wir jedoch ein wenig, da uns Wind und Wellen noch zu kräftig erscheinen. 

So nutzen wir den klaren und zunehmend sonnigen Vormittag, eine Portion Blaubeeren zu sammeln. Denn an diesem Ort gibt es viele gutgewachsene Blaubeersträucher, von denen wir auf der gestrigen Erkundungstour bereits die eine oder andere Beere abgepflückt haben.

Da die hiesigen Blaubeersträucher in diesem Jahr bisher nur dürftig Beeren tragen, wird es eine Fleissarbeit. An den felsigen moosgepolsterten Hängen arbeiten wir uns von „Beereninsel zu Beereninsel“, denn die süss-sauren blauschwarzen Perlen wachsen nicht flächendeckend gleichmäßig dicht in denGebüschfeldern, sondern hängen eher in kleinen Rudeln an einzelnen Sträuchern. Als nach etwa einer halben Stunde der Boden unserer mitgebrachten Plastikschüssel komplett mit Beeren bedeckt ist, hören wir auf zu sammeln. 

Und nachdem ich noch Informationen mit der Vierer-Gruppe auf der anderen Seite der Halbinsel ausgetauscht habe, lichten wir um die Mittagszeit die Anker, entfalten die Segel und stechen wieder in See…. und sind wieder unterwegs.

Es ist ein frischer, fröhlicher Tag. Den Blick nach rechts auf das östliche Ufer gerichtet nehmen wir die großen Inseln auf dem See linkerhand kaum wahr. 

Stattdessen freuen wir uns an den vielen kleinen, oft kahlen, Felseninseln rund um die kleine Bucht von Dammarna. Sie geben der streckenweise eintönigen Uferlandschaft eine herb-wilde Note. 

Hier paddeln wir in die Bucht hinein. Denn laut Karte können wir in der winzigen Siedlung Dammarna endlich unseren Müll los werden -  und vielleicht auch einen Blick in ein mit 10 richtigen Betten ausgestattetetes kostenloses Übernachtungsquartier werfen. 

Bald machen wir an einem flachen Felsen fest, entsorgen und trennen unseren Müll in die bereitgestellten Container  und schauen uns die freundlich gestaltete Schutzhütte, - nein, das Haus an: Veranda, Holzfussboden, Doppelstockbetten, Schränke und eine Küche mit Elektro-Kochplatten. Auch wenn wir das Equipment heute nicht nutzen werden,  sind wir doch dankbar, dass die Verwaltung des Naturreservats auf diese Weise für ihre Gäste sorgt. Hut ab! So etwas habe ich bisher nur in Schweden erlebt.

Da wir übermorgen Abend wieder am lokalen Scandtrack Lager ankommen müssen, wollen  wir heute noch Strecke machen. Wir legen beim Paddeln  wieder keine Angel aus, sondern gleiten, die Buchten ausfahrend und selten quer schneidend, bis zum Nachmittag am Ufer entlang. 

Gegen 16:00 Uhr gehen wir vor Rastplatz Nr. 13 – einem flach ins Wasser auslaufenden Badestrand – mit echtem Sand! - vor Anker. Hungrig und ein wenig müde bringen wir den Spirituskocher zum Laufen, köcheln zunächst die zerstampften Blaubeeren mit viel Zucker in einem Topf  bis sie blubbern und giessen dann eine Kelle voll mit flüssigem Pfandkuchenteig – vom Sohn höchstpersönlich zubereitet – in die mit Öl belassene Blechpfanne. 

Hungrig beobachten wir, wie der mit Backpulver versetzte Teig sich in der Pfannenmitte ausbeult und verfestigt – direkt unter der Spiritusflamme. Aber die Randbezirke bleiben noch lange flüssig.  Als wir schliesslich den fertigen Prototyp zerteilen, mit warmen Blaubeersirup übergiessen und vorsichtig hineinbeissen, ist das Ergebnis so überwältigend, dass wir nicht  wieder so lange warten wollen, bis die nächsten fertig sind. In Windeseile entfachen wir ein Feuer, stellen die Pfanne auf den Grillrost – und nun läuft die Produktion! Alles wird gegessen – nichts bleibt übrig. Pfannkuchen mit Blaubeersirup: Man kann ein solches kulinarisches Ereignis in freier Natur nicht angemessen beschreiben – man muss es erlebt haben. 

Die Sonne sinkt im Westen. Es wird Zeit aufzubrechen und diesen schönen Ort zu verlassen. Schade, denken wir – hier wären wir gerne länger geblieben

Wir peilen den nordwestlich gelegenen Rastplatz Nr. 14 an. Dazu gilt es, einige Buchten auszupaddeln bzw. zu schneiden. Ob wir es bis dorthin rechtzeitig vor dem Dunkelwerden schaffen? Denn schneller als erwartet werden die Schatten länger und schwindet das Licht. 

Da bekommen wir einen herrlichen Sonnenuntergang auf dem Wasser geschenkt!

Laut Karte ist Rastplatz Nr. 14 auf der längsten Halbinsel am Stora Gla  gelegen. Obwohl an erhöhter Stelle errichtet, könnte er in der Dämmerung schwer zu entdecken sein, besonders wenn Bäume die Sicht auf ihn verdecken.   So halten wir angespannt Ausschau und blicken hoch die Anhöhe hinauf, als wir die Halbinsel endlich erreicht haben. Aber nirgends eine Spur von Zivilisation. Wir umrunden daher die Halbinsel in der Hoffnung, dass wenigstens ein Anlandeplatz sichtbar ist. Jedoch nichts zu sehen. Nur eine langgestreckte Siluette miteiander verschmolzener Baumkronen hebt sich vom nächtlichen Himmel ab. 

Nein, wir sind nun zu müde und hungrig und möchten nicht mehr weitersuchen, sondern schnell einen geeigneten Platz für eine Nacht unter freiem Himmel finden. 

Leider ist der einzige Ort, der in Frage kommt, die nordöstliche Spitze der vorgelagerten Insel Yttre Skagern, bereits besetzt – zwei rote Zelte und ein Feuer können wir gerade noch so im Zwielicht erkennen.

Wir versuchen es daher am anderen Ende der Insel, ihrer Südwestspitze.  Dort legen wir gegen Mitternacht an und sondieren den Ort. Tatsächlich: Reste einer Feuerstelle und hier und dort aufgeschichtete Steine dokumentieren, dass auch dieser Lagerplatz von unbekannten Vorgängern ausgewählt worden war. Prima: Einige niedrige Kiefern auf dünner Humusschicht geben uns ein Gefühl von Sicherheit, dazu es gibt ebene Stellen – breit genug für zwei Isomatten nebeneinander. Die Kiefernzapfen und kleineren Steine, die hier verstreut herumliegen und uns im Rücken drücken würden, können wir auch mühelos entfernen. 

Also dann, -die übliche Prozedur: Kanu entladen und die Sachen hochtragen sowie das Kanu auf den Felsen schaffen und umdrehen.

Wir kochen uns auf dem Spirituskocher ein Scandtrack Hauptgericht: Jägerhackbraten aus der Dose, dazu rote Kidney Bohnen aus der Dose und geschnittene Champingnons dritter Wahl, ebenfalls aus der Dose.

Wer hätte das erwartet: Das Dosenessen schmeckt heute sooo gut! Wir verschlingen es im Schein der Wachsfackel, die der Sohn –  entgegen meiner Meinung – aus Deutschland mitgebracht hat. Und ich muss zugeben – etwas Besserers hätten wir an diesem Abend nicht gebrauchen können. Denn das helle warme Licht, das die leicht windige Nacht auf zwei, drei Kubikmetern Rauminhalt  zum Tag macht, gibt uns  ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Und das brauchen wir heute.

Den Tag beschliessend  trinken wir solcherart noch jeder eine Tasse süssen Instant Tee. Und  mummeln uns mit einem „Gute Nacht“ in unsere Schlafsäcke. 

Und sie wird gut. Die Luft ist rein und klar –  funkelnde Sterne sind zu sehen, wenige Sekunden lang, bis wir beide in eine Art Tiefschlaf fallen.

7. Tag - Donnerstag 10. Juli - Barsche und Stechmücken

Auch dieser  vorletzte Tag unserer Tour beginnt sonnig freundlich. Eigentlich müssten wir uns schämen! Denn erst am 7. Tag unserer  Reise denken wir, neben den seifelosen Badeaktionen, an die Körperhygiene, ganz davon abgesehen, dass wir beide uns bisher  nie die Zähne geputzt haben. 

Nun aber befolgen wir den Hygienerat – auch im  Outdoor-Handbuch aufgeführt - und praktizieren jeder eine Wildnisdusche. Das geht so: Mindestens einige Meter vom Ufer entfernt den entkleideten Körper zunächst mit Wasser benetzen und dann mit einer biologisch abbaubaren Seife vollständig einseifen. Sich dann anschliessend von einem Kameraden mit dem Eimer kaltes Wasser über den Körper giessen lassen. 

Sind sämtliche Seifenreste entfernt, kann man ein erfrischendes Bad im kühlen Seewasser nehmen. Theoretisch alles einfach, in der Praxis sieht es anders aus:

Das Gelände ist huppelig, ich rutsche leicht aus meinen Badeschlappen. Das trockene Heidekraut kratzt unangenehm an den Beinen. Huch, hier ist ja eine Ameisenstrasse.

Vorsicht – Bremsen lieben bei Ihren Feindflügen auch das pralle Sonnenlicht.

Aber danach, dem See entstiegen und auf dem glatten Felsen in der Sonne trocknend fühlen wir uns pudelwohl. Warum haben wir das nicht schon früher ausprobiert? Die Antwort lautet: BEQUEMLICHKEIT – sie hat sich heimlich und bisher unbenannt  in das Outdoorleben eingeschlichen. Und das ist wahr und kein Widerspruch: Es kann hier als bequemer empfunden werden, stundenlang gegen Wind und Wellen anzukämpfen als außerhalb der Alltagsroutine eine zehnminütige Wildnisdusche zu praktizieren. 

Am letzten Tag möchten wir noch einmal einen Köder hinter dem Boot herziehen. Und zwar einen kleinen, denn nach den beiden Hechten möchten wir es auch mal wieder auf Barsch probieren. Gegen Mittag haben wir den Kanadier ins Wasser geschaft und unsere Sachen darin verstaut. Wir freuen uns auf die Fahrt entlang des nördlichen Seeufers. Wir planen, noch heute das Boot in den Övre Gla umzutragen und irgendwo im Buvattnet zu übernachten. 

Ich entscheide mich für einen kleineren rot-weissen Wobbler, der auch zuhause noch nie im Einsatz war  und schneide dafür ein 50 cm langes dünnes Stahlvorfach zurecht. Dieses schalten wir davor, weil wir damit rechnen, dass auch ein Hecht zupacken könnte.

Diesmal gehe ich ins Heck und bediene die Angel. Ich frage mich, ob bei Sonnenschein und klarem Wasser der Wobbler und Stahlvorfach nicht unnatürlich erscheinen. Aber drei kleine Barschen konnten der Versuchung nicht widerstehen. 

Sie sind nun wahrlich keine Riesen, aber wenn man von solchen viele sammelt, kriegt man auch sein Essen zusammen.

Da wir meinen, das Gröbste überwunden und ein wenig Zeit gewonnen zu haben, montiere ich einen noch kleineren Wobbler und lasse ihn, während wir etwa 200 Meter vom Ufer enfernt paddeln, etwa 30 Meter hinter dem Kanu durch das nunmehr glatte tiefschwarze Wasser tauchen. Nur wenige Sekunden später biegt sich die Spinnrute, ich rufe dem Sohn zu, das Boot zu stoppen. An dem schnellen gleichmäßigen Rütteln an gespannter Schnur merke ich, dass wir dieses Mal wohl einen etwas größeren Barsch zum Anbiss verleitet haben. Meter für Meter kurbele ich ihn behutsam bei, mein Herz klopft, denn es könnte sein, dass der Haken bei 30 Meter Kurbelei aus dem feinen Maul ausschlitzt. Aber – Gott sein Dank! – er hält, und bald kann der Sohn längst der Bordwand einen schön gestreiften Barsch von 28 cm Länge keschern. Wir freuen uns umso mehr, als dass uns dieser Bursche gerade noch fehlte, um uns  mit seinen drei kleinen Kameraden wenigstens eine bescheidene Mahlzeit zu gestatten. Bei den Vieren soll es für heute bleiben, einen weiteren Räuber kann unser Wobbler  nicht mehr überzeugen. 

Es scheint uns nunmehr zu spät,  noch heute Kanu und Ausrüstung bis zum Övre Gla umzutragen, das schaffen wir nicht. Daher wollen wir die Nacht an Ort und Stelle auf dieser abgelegenen Aussenstelle des offiziellen Lenungshammar‘ Campingplatzes verbringen, auch wenn es nur Outdoor Light bedeutet und einige schwedische Kronen kostet. Hier also bauen wir das erste Mal auf dieser Reise das knallrote Scandrack-Zelt auf, so wie wir es während der Busfahrt auf dem Bildschirm gesehen haben.

Und die Veranstalter haben nicht zu viel versprochen: Offenbar bereits häufig im Einsatz gewesen, lässt sich unser Exemplar dank seiner Iglo-Bauweise relativ schnell aufbauen und ist dabei für einen Erwachsenen und ein Kind recht geräumig. Also, heute wird nicht mehr viel passieren. Wir pumpen uns mittels quietschender Schwengelpumpe frisches Grundwasser in unsere Trinkflasche, parken den Kanadier vor dem Zelt und fallen bald – wie auch die Tage zuvor – in Tiefschlaf. Gute Nacht.

8. Tag - Freitag 11. Juli - Noch ein Tag auf dem See

Gegen 08:00 Uhr morgens schäle ich mich aus dem Schlafsack. Die nächtliche Abkühlung hat kleine Tautropfen auf Gras und  Ausrüstung hinterlassen. Langsam erwacht der kleine Campingplatz: Reissverschlüsse an Zelteingängen sirren, Kochbesteck klappert, erste Kinderstimmen sind zu hören, dazwischen gedämpft mahnende Rufe der Erwachsenen. 

Während der Sohn noch schläft, schärfe ich mein Angelmesser an meinem Schleifstein. Dann filetiere und häute ich damit die vier Barsche auf dem Frühstücksbrettchen. Dabei werde ich neugierig von dem Jungen unserer Zeltnachbarsfamilie beobachtet, der wohl spürt, dass diese Tätigkeit für ein kleines Stückchen freies Wildnisleben steht. Und in Gedanken sage ich ihm: Deine Zeit wird vielleicht kommen! Halte deine Träume lebendig und höre auf dein Herz!

Dann lege ich Kopf und Grätenreste für eine Suppe beiseite, während ich die Kiemen und Innereien  mittels Klappspaten außerhalb des Campingplatzes im Wald vergrabe.

Nun ist auch der Sohn aufgewacht, und ich bitte ihn, auf dem nahegelegenen Feuerplatz ein kleines Feuer zu entfachen, damit wir die kleingeschnittenen Filets in Öl frittieren.

Schnell lodern im toten Aschegrau der Feuerstelle lebendige gelbe Flammen auf, und ich wundere mich, wie schnell der 11jährige das mittlerweile ohne Hilfe hinbekommt.

Bevor ich die Filetstückchen  ins heisse Öl lege, werden sie gesalzen und kurz in Mehl gewendet. Dann erklingt auch bald das bekannte Zischen, und wenig später ist alles bereit. Der Hit ist es, den Zitronensaft  über die noch  in der Pfanne befindlichen heissen Filets zu spritzen und sie dann direkt aus der Pfanne zu essen.

Anschliessend koche ich aus den zuvor beiseite gelegten Fischresten im Topf über dem Feuer noch eine Fischsuppe, welche  unsere morgendliche Nährstoffzufuhr  ergänzt.

Danach zwingt uns das vollbeladene Kanu auf holperigem, an- und absteigendem Weg zur Zusammenarbeit. So schieben und ziehen wir es 800 Meter bis zur zur Campingplatzverwaltung in Nähe der Schleuse. Denn wir müssen ja noch unsere Übernachtung bezahlen. Es ist  Mittagszeit, als wir den Kanadier in praller Sonne vor dem  Eingang des flachen Holzgebäudes parken und uns hinein zur Rezeption begeben. 

Ja, wir sind wieder mit der Zivilisation konfrontiert - in Form eines Buchungsgerätes für Kreditkarten – wofür wir dankbar sind, da wir null schwedische Kronen dabei haben. Zivilisation - auch in Form einer riesigen Tiefkühlbox, vollgepackt mit diversen Eis am Stiel. Hier können wir überhaupt nicht widerstehen, und nach der Abbuchung der –exklusive Eiscreme - umgerechnet 15 Euro für die Zeltplatznutzung,  sitzen wir wenige Minuten später neben dem Kanu und lutschen oder kauen jeder ein Magnum Strawberry und betrachten dabei unsere Umgebung.  

Bald stossen wir uns vom kleinen schwimmenden Anleger ab und wenden dann unseren Blick nach vorne. Die verbleibende Fahrzeit können wir recht gut kalkulieren, da wir die Gewässer mittlerweile kennen und ungefähr wissen, was uns erwartet. 

 Es ist wieder sehr warm heute. Die Sonne fällt in steilem Winkel in das Wasser und lässt mich den dicht mit säulenartig hochwachsenden Wasserpflanzen bedeckten Seegrund erkennen. „Höchstens eineinhalb Meter tief“, rufe ich dem Sohn zu.  „Wir müssen langsam paddeln, uns über diese Krautbank treiben lassen, sonst läuft der Wobbler zu tief und bleibt hängen!“

Kaum habe ich das ausgesprochen, wackelt auch schon meine Hechtrute, die wieder beim Sohn hinten im Heck ausgelegt ist. Allerdings ist das kein Krauthänger, sondern wieder ein Fisch! Nunmehr bereits routiniert, meint der 11-jährige, das sei ein Kleiner. Tatsächlich deutet das 20 Meter hinter dem Heck aufschäumende Wasser darauf hin, dass es sich um einen kleineren Fisch handelt, den Ben nun  mühelos an der Wasseroberfläche zum Boot kurbeln kann. Trotzdem ist auch heute die Freude groß, als wir einen wiederum 52 cm langen Hecht, den dritten auf dieser Reise, in den Kescher bugsieren.Das haben wir eigentlich nicht erwartet, da wir die besten Fänge in diesen beiden Seen und in dieser Jahreszeit immer am  Abend machten. Der dritte Hecht aber hat in der prallen Mittagssonne zugepackt.

Nun sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Ziel und Ende der Reise. Der Wind hat sich gelegt, die Sonne ist gesunken und lautlos gleiten wir durch glattes schwarzes Wasser. Auf der einen Seite bin ich froh, dieses Abenteuer mit dem Sohn gut überstanden zu haben. Auf der anderen Seite bin ich traurig, diese kurze  intensive  Zeit zu zweit inmitten der Natur beenden zu müssen.

Övre Gla Stora Gla

Die beiden Seen. Ihr schwarzen Wasser. 

In Euch gebadet haben wir, in praller Sonne abgekühlt, uns frei gefühlt.

Eure Wasser haben wir getrunken.

Neun Fische, in euch geboren groß geworden, habt ihr uns geschenkt.  

Welch‘ Freude, auf Eurer Haut entlangzugleiten.

Das Paddel einzutauchen

An euren Ufern lang zu gehn‘

Geängstigt habt ihr uns mit euren Wellen

Erfreut mit weissen gelben Rosen

Wasservögel, Wasserläufer, Wassermenschen

Ob wir uns wiedersehn?

Am frühen Abend finden wir im äußersten Zipfel des Övre Gla, ganz in seinem Norden, die Umtragestelle, das Ponton, auf dem wir eine Woche zuvor das Kanu bestiegen haben.

Nunmehr sehr routinemäßig entladen wir es, ziehen es auf den Steg und tragen es einige Meter hoch zum dafür vorgesehenen Kanulagerplatz. Dort setzten wir es vorsichtig ab, gesellen es zu einem halben Dutzend anderer Scandtrack-Kanus, die zu ihrem Schutz alle in einer Richtung längs gekippt sind, auch damit das Regenwasser aussen abfliessen kann. Stumm betrachten wir den grau-silbrig glänzenden Rumpf  unseres Gefährts mit all seinen Kratzern, Schrammen und kleinen Beulen. Erleichert sehen wir, dass die anderen Rümpfe ähnlich lädiert sind. Denn ganz vermeiden lassen sich Kollisionen mit den Felsen – trotz aller Vorsicht - ja doch nicht.  

Dann verabschiede ich mich von dem Kanadier und schleppe die Utensilien zum Lagerplatz,  von woher  mir bereits einige ordentlich aufgestellte Scandtrack Zelte  mit ihrem Rot vor grünem Wiesengrund entgegenleuchten.

Ein Lagerfeuer brennt, darum gruppiert einige männliche und weibliche Gestalten, teils mit Flasche oder Dose in der Hand. „Die ham’s geschafft“ denke ich. Wir dagegen noch nicht, denn das Zelt muss noch aufgebaut, die vielen Sachen irgendwie geordnet, gereinigt und aufgeräumt werden.

Begehrlich schaue ich auf die Biere, mit denen die anderen ausgestattet sind, aber ich verkneife es mir, um eins zu bitten, da der Sohn sich dann vielleicht noch einsamer fühlt - als einziges Kind unter den Erwachsenen.

Mittlerweile dunkel geworden, kochen wir uns auf dem Lagerfeuer eine letzte Scandtrack-Linsensuppe, die dann zusammen mit dem ewigen Scandtrack - Sauerteigbrot und geschnittener Salami unsere hungrigen Mägen füllt. 

Anschliessend bringen Sohn und ich auf dem Lagerfeuer einen Blechtopf mit Wasser zum Kochen und bieten allen süssen Instand-Tee an. Das findet allgemeinen Beifall. Und langsam kommen auch wieder die Gespräche in Gang. 

Mit Spannung lauschen wir im flackernden Schein des Lagerfeuers den Erzählungen der Anderen. Denn natürlich haben auch sie spannende Erlebnisse aus einer Woche Naturleben zu berichten. So verrinnen die Stunden, und irgendwann meint dann die ältere der beiden Frauen, dass es wieder heller werde, denn sie könne die Farbe Rot wieder erkennen. Tatsächlich, gegen 03:00 Uhr morgens hat die kurze Dunkelphase des schwedische Mitt-Sommers Ihren Zenit bereits überschritten. 

9. Tag - Samstag 12. Juli - scandtrack  Basislager und Rückfahrt

Auch an diesem letzten Morgen im Lande Schweden weckt mich die Sonne, die über dem Waldrand östlich des Sammelplatzes bereits emporgeklettert ist. Kurz überlege ich: Bis zur Abfahrt des Busses, der uns gegen 13:00 Uhr abholen soll, ist noch allerhand zu tun. Und leicht kann man die Zeit, die alles braucht, unterschätzen.

Autor: Marc-Peter S., 15. Oktober 2013